
Krypto trifft Realität: Wie ich im "Pink Nails" ein verifizierter Mensch wurde
Wie weit würdest du für eine digitale Identität gehen? Unser Autor Clas Beese hat sich an einem kalten Novembertag in das Nagelstudio „Pink Nails“ am Berliner Kurfürstendamm gewagt – nicht wegen einer Maniküre, sondern um seine Iris scannen zu lassen. Das amerikanisch-deutsche Start-up World verspricht eine biometrische Authentifizierung über eine futuristische Kugel, den Orb. Was als neugieriger Selbstversuch begann, führte mich tief in die Blockchain-Welt und die Frage: Was hat identifizieren eigentlich mit bezahlen zu tun?
Iris-Scan im Nagelstudio: Ein Blick in die biometrische Zukunft
Es ist ein kalter, dunkler Tag im November, als ich ein Nagelstudio am Berliner Kurfürstendamm betrete. Nicht der Wunsch nach einer Maniküre hat mich ins „Pink Nails“ gelockt, auch wenn das hier eindeutig die Hauptattraktion ist. Ich bin wegen einer kleinen Kugel voller Elektronik hier. Der sogenannte Orb sieht ein wenig aus wie eine Wohnzimmerlampe aus den futuristischen 1960er Jahren.
Allerdings werde ich mir von diesem Gerät meine Iris scannen und auf einer Blockchain speichern lassen. Es handelt sich um eine Authentifizierung des amerikanisch-deutschen Startups World. World, ehemals bekannt als Worldcoin, hat seinen Hauptsitz in San Francisco, USA, und Erlangen, Deutschland. Das Unternehmen wurde 2019 von Max Novendstern, Alex Blania und Sam Altman gegründet. Sam Altman hat es als Gründer vom KI-Pionier Open AI weltweit zu Bekanntheit und Einfluss gebracht.
Das Unternehmen arbeitet an einer globale Identitätslösung indem es biometrische Daten der menschlichen Iris auf einer Blockchain speichert. Die Iris ist so einzigartig, das keine zwei Menschen die gleiche Irisstruktur besitzen. Die komplexen Muster der Iris entstehen bereits im Mutterleib und verändern sich im Laufe des Lebens nicht. Und Blockchain gilt als sicherste Methode um Daten fälschungssicher zu speichern.

Sicher bezahlen, sicher identifizieren: Warum Authentifizierung beim digitalen Bezahlen unverzichtbar ist
Wenn ich heute digital bezahlen möchte, ist Authentifizierung ein unverzichtbarer Schritt. Ich muss nachweisen, dass ich tatsächlich die berechtigte Person bin, um mein Geld auszugeben. Schon morgens beim Bäcker brauche ich meine Bezahlkarte und meine PIN. Zahle ich kontaktlos, muss ich die PIN erst ab einem bestimmten Betrag eingeben. Und auch für eine Überweisung logge ich mich in meine Banking-App über Face-ID ein. Die Freigabe der Zahlung erfolgt dann über eine weitere, separate App.
Diese Sicherheitsmechanismen beruhen auf der sogenannten Zwei-Faktor-Authentifizierung (2FA). Dabei weise ich mich mit mindestens zwei der folgenden drei Faktoren aus:
- Wissen: Etwas, das nur ich kenne, wie meinen PIN.
- Besitz: Etwas, das nur ich besitze, wie meine physische Karte oder mein Smartphone, gekoppelt mit meinen Banking-Apps.
- Inhärenz: Etwas, das mich eindeutig ausmacht, wie mein Gesicht für den Gesichts-Scan.
In den meisten Fällen reichen zwei dieser Faktoren, um eine sichere Transaktion zu gewährleisten. Identifizierung bedeutet einmalig nachzuweisen wer man ist, etwa bei einer Kontoeröffnung. Authentifizierung bedeutet regelmäßig zu bestätigen, dass man tatsächlich diese Person ist, zum Beispiel beim Bezahlen per PIN oder Face-ID.
Wer schon einmal seine PIN vergessen oder sein Smartphone verloren oder beschädigt hat, weiß, wie wichtig Authentifizierung beim Bezahlen ist. Ohne PIN oder Smartphone funktioniert dann nämlich erst einmal gar nichts mehr, und finanziell sitzt man zunächst auf dem Trockenen.
Digitale Zahlungsmethoden gewinnen zunehmend an Bedeutung, siehe auch mein Beitrag Rückgang der Bargeldnutzung: Warum die Zukunft des Bezahlens polarisiert.
Authentifizieren und Bezahlen gehören zusammen wie Pech und Schwefel – untrennbar, auch wenn’s manchmal nervt.
Meine Iris auf der Blockchain – Skepsis trifft Neugier
Zurück ins Nagelstudio „Pink Nails“ – hier versucht World gerade, mein Identifizierungsproblem zu lösen. Nicht nur in Bezug aufs Bezahlen, sondern ganz allgemein in der digitalen Welt. Für mich erschließt sich das allerdings nicht sofort. Schließlich befindet sich der Berliner Kurfürstendamm nicht in einer Region ohne staatliche Identitätsinfrastruktur; meinen Personalausweis habe ich ja stets griffbereit in der Hosentasche. Allerdings ist dieser Ausweis in erster Linie dafür gedacht, von Menschen geprüft zu werden – Chip-Technologie hin oder her.

Hier setzt der Use-Case von World an: nämlich dann, wenn Menschen sich gegenüber einer Maschine, etwa einer KI, ausweisen wollen oder müssen. Noch sind wir allerdings nicht so weit. Bei einer Kontoeröffnung oder einem neuen Handyvertrag weisen wir uns gegenüber den Anbietern bzw. deren Mitarbeitern aus. Zugegeben, meist bedeutet das ein nerviges Videoident-Verfahren mit einer Kombination aus KI und echten Menschen. Das macht in den seltensten Fällen Spaß.
Aber will ich deshalb meine Iris scannen lassen? Und diese dann auf einer Blockchain speichern lassen? Noch dazu von einem Start-up, mit dem ich keinerlei Erfahrung habe? Mein Vertrauen hält sich in sehr bescheidenem Rahmen. Noch weiter: Als ich das erste Mal darüber nachdachte, den "Orb" von World einmal auszuprobieren, spürte ich ein deutliches Unbehagen.
Dieses Unbehagen wird verstärkt durch die Tatsache, dass alle, die das Prozedere über sich ergehen lassen, von World mit einigen Worldcoins bezahlt werden. Worldcoin ist die von World erfundene Kryptowährung. Jetzt wird es für mich endgültig dystopisch: Menschen, die ihre einzigartige Iris scannen und unwiderruflich auf einer Blockchain speichern lassen – im Austausch für eine Handvoll Kryptowährung im Gegenwert weniger Dollar. Wie dystopisch!
World hat bereits Menschen in mehreren Ländern identifiziert: In Deutschland sind es 10.000, in den USA 15.000 und in Indien 50.000. Am Ende siegt meine professionelle Neugier über mein empfundenes Unbehagen. Das Ganze ist so futuristisch, dass ich es einfach ausprobieren möchte.
Der Moment der Wahrheit: Verifiziert durch den Orb
Am Tag, bevor ich vor „Pink Nails“ stehe, habe ich die App auf mein Handy heruntergeladen. Das Onboarding ist ganz smooth, die Nutzerführung durch den Prozess klappt prima. Und irgendwann ist es soweit: Alles ist erledigt, bis auf den Iris-Scan. In der App werden die Standorte der Orbs in Deutschland angezeigt. Es sind nicht viele, gerade mal eine Handvoll. Ich kann dort einen Termin für meinen Scan reservieren – was ich auch mache, und so stehe ich nun vor dem Nagelstudio.
Ich fasse mir ein Herz und betrete das “Pink Nails”. Zum allerersten Mal in meinem Leben bin ich in einem Nagelstudio – und ich fühle mich sofort fehl am Platz. Dass ich nicht zur Kernzielgruppe des Nagelstudios gehöre, fällt auch Hieu Than sofort auf. Er kommt hinter einer Theke im Corporate Design von World hervor. Er trägt ein schwarzes T-Shirt mit dem Logo von World, und um den Hals baumelt irgendeine Art offiziell aussehender Ausweis.
Zusammen gehen wir zum Orb, den es hier tatsächlich gibt. Hieu Than nimmt mich sprichwörtlich an die Hand: Er führt mich durch den Prozess in meiner App und bringt mit seiner App auf seinem Telefon den Orb dazu, meine Iris zu scannen – nicht ohne vorher meinen Personalausweis kontrolliert zu haben. Dann, nach einer kurzen Wartezeit, ist es tatsächlich soweit: In meiner World-App erscheint ein blauer Haken. Ich bin ein „verifizierter Mensch“. „Verifiziert durch Orb“ steht ergänzend dabei.

Digitale Identität: Zukunftsmusik oder Realität?
Die World-App hat auch eine Wallet. Wenig später wird dort mein Guthaben von 25 Worldcoin angezeigt. Als ich diesen Text schreibe, steht der Kurs bei 0,93 Euro – mein Guthaben ist also 33,75 Euro wert. Habe ich dafür meine Seele verkauft?
Gefühlt hat sich seit dem Iris-Scan nichts verändert. Eine passende Möglichkeit, mich mit World auszuweisen, habe ich bisher nicht gefunden. Weder beim Bezahlen noch woanders in der digitalen Welt. Habe ich die App für irgendetwas genutzt? Nein, nullkommanull. Das grundlegende Problem bei World ist der fehlende Netzwerkeffekt: Zu wenige Anwendungsfälle für Nutzer, zu wenige Nutzer für Unternehmen mit Anwendungsfällen.
Ob sich dieses Henne-Ei-Problem von World noch lösen lässt? Es wird eine Frage des langen Atems sein – vor allem des finanziellen Atems. Zwar kosten die Worldcoins das Startup wenig bis gar nichts, aber das gesamte Unternehmen muss dennoch am Leben gehalten werden, bis es irgendwann vielleicht einen Durchbruch gibt.
Sollte sich World als Identitätslösung durchsetzen, sind die erwartbaren Gewinne enorm. Ob World bis dahin genügend Venture Capital einsammeln kann, bleibt abzuwarten. Immerhin sind Investoren dank Sam Altman im Gründungsteam bereits an große Summen und hohe Bewertungen gewöhnt.
Die Kombination aus Identifizierung und Kryptowährung ist und bleibt für mich vorerst ungewohnt. Vielleicht ändert sich das noch. Was sich seit meiner Identifizierung mit dem “Orb” schon verändert hat, ist meine selektive Wahrnehmung für Identitätslösungen, insbesondere wenn sich Menschen gegenüber Maschinen ausweisen.
Das gibt es doch schon häufiger, als ich dachte. Zum Beispiel habe ich gelernt, wofür die Abkürzung CAPTCHA steht, also für diese fummeligen Aufgaben, die man auf Websites erfüllen muss, um weiterzukommen. CAPTCHA steht für "Completely Automated Public Turing test to tell Computers and Humans Apart".
Insofern ist das Problem, das World zu lösen versucht – nämlich Menschen zu identifizieren –, gar nicht mehr so weit weg.
Wie sich allerdings Maschinen gegenüber Menschen ausweisen, ist eine Frage, die ebenso relevant erscheint. Es wäre spannend zu wissen, ob und welches Startup daran eigentlich arbeitet.
Autor

Clas Beese
Freier Journalist & Content Creator für Fintech
✉ clas@fintechweek.de
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